TERMINOLOGIE / GLOSSAR

Ableismus/Behindertenfeindlichkeit

Benennt die Diskriminierung gegenüber Menschen mit einer Behinderung. Der Ableismus geht von einem physischen Standard des Menschen aus, den eine behinderte Person nicht leisten kann. Der behinderte Mensch ist demzufolge „minder-wertig“. Auf sozialer Ebene bedeutet es, dass Menschen mit Behinderung als ausgeschlossen und unsichtbar gelten.

Behinderung

Gesundheit und Normalität werden von jedem anders wahrgenommen. Behinderung ist nicht mit »Krankheit« zu verwechseln. Nach modernem Verständnis ist Behinderung als Ergebnis einer Wechselwirkung zu verstehen: Eine Person mit Beeinträchtigung trifft auf eine Barriere – es entsteht Behinderung.

Geistige Behinderung

Viele Menschen, die als »geistig behindert« bezeichnet werden, finden dies diskriminierend, da nicht ihr »Geist« behindert ist, und sie beispielsweise nur Probleme mit dem Lernen haben. Sie bevorzugen die Beschreibung Menschen mit Lernschwierigkeiten oder Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen

Beeinträchtigung, beeinträchtigt

Seit ein paar Jahren haben sich neue Begriffe etabliert „Menschen mit Beeinträchtigungen“ und „beeinträchtigte Menschen“. Die Disability Studies unterscheiden zwischen Beeinträchtigung und Behinderung: Die Beeinträchtigung ist die körperliche Seite der Behinderung – das fehlende Bein oder die fehlende Sehkraft, die chronische Krankheit. Bei „Behinderung“ kommt eine soziale Dimension dazu – Barrieren behindern und schließen aus, und das macht die Beein-trächtigung oft erst zum Problem.

Handicap/gehandicapt

Handicap wird zwar in Deutschland als progressiv verstanden, erinnert aber an »cap-in-hand«, also die Verknüpfung von Behinderung und »Betteln« und wird daher im britischen und anglo-amerikanischen Sprachraum kaum noch verwendet.
Mensch mit besonderen Fähigkeiten oder Bedürfnissen: Da viele befürchten, allein mit dem Wort „Behinderung“ zu beleidigen oder zu stigmatisieren, hat sich eine Reihe von beschönigenden Alternativ-Ausdrücken, wie z.B. „besondere Bedürfnisse“ oder „andersfähig“ etabliert. Ganz abgesehen davon, dass nur wenige behinderte Menschen selbst diese Ausdrücke gebrauchen - sie treffen einfach nicht zu. Die Fähigkeiten und Bedürfnisse behinderter Menschen sind nicht „besonders“, sondern genauso vielfältig wie die nicht behinderter Menschen.
Pflegefall: Behinderte Menschen als „Pflegefall“ zu bezeichnen reduziert sie auf Pflegebedürftigkeit. Wenn Menschen zu „Fällen“ werden, werden sie als Objekte und Last für die Allgemeinheit wahrgenommen. Sogenannte „Pflegefälle“ bekommen vielleicht auch Persönliche Assistenz: Eine Form der alltäglichen Unterstützung, in der behinderte Menschen selbst Entscheidungen treffen können. Die Form der Pflege oder Assistenz, die ein behinderter Mensch bekommt, kann also unterschiedlich sein.
Chronisch krank: Ab wann eine Erkrankung als „chronisch“ gilt, ist in der Medizin umstritten. Manchen Fachleuten reichen vierzehn Tage, für andere beginnt sie erst ab drei Monaten Krankheitsdauer. Allgemein sind Krankheiten chronisch, wenn sie andauern und es für sie keine Heilung gibt. Damit ist der Übergang zu Behinderung fließend. Chronische Krankheiten und dauerhafte Beeinträchtigungen wie zum Beispiel Multiple Sklerose, Depression, Diabetes oder manche Krebs- oder Herzerkrankungen können zu Behinderungen werden.

Eine Person leidet an ihrer Behinderung

Ob jemand wirklich an seiner Behinderung/ Erkrankung leidet, kann nur derjenige selbst wissen. Viele behinderte Menschen leiden eher an Reaktionen und Gegebenheiten des Umfelds, und haben sich mit ihrer Behinderung arrangiert. Insofern empfiehlt sich die Formulierung: Person XY lebt mit der/hat die Behinderung XY oder lebt mit der/hat die Krankheit XY

gesund/normal vs. krank

Gesundheit und Normalität werden von jedem anders wahrgenommen. Behinderung ist nicht mit Krankheit zu verwechseln. Nach modernem Verständnis ist Behinderung als Ergebnis einer Wechselwirkung zu verstehen: Eine Person mit Beeinträchtigung trifft auf eine Barriere – es entsteht Behinderung. Insofern sollte in der Berichterstattung konkret auf die Behinderung eingegangen werden, wenn es für den Kontext von Bedeutung ist.

Person XY ist an den Rollstuhl gefesselt

An den »Rollstuhl gefesselt« zu sein, suggeriert ein Bild von Passivität, Ohnmacht und Hilflosigkeit. Dabei bedeutet der Rollstuhl für die meisten Bewegungsfreiheit und Teilhabe. Außerdem verlassen einige den Rollstuhl auch, z. B. um auf dem Sofa zu sitzen oder Auto zu fahren. Insofern empfiehlt sich die Formulierung: Person XY sitzt, benutzt oder fährt Rollstuhl, ist auf den Rollstuhl angewiesen oder im Rollstuhl unterwegs.

trotz seiner/ihrer Behinderung

Die Beschreibung »trotz Behinderung« unterstellt, dass der- oder demjenigen mit Behinderung etwas nicht zugetraut wurde, und dass die Behinderung immer von allen Aktionen abhält, statt einfach Teil einer Person zu sein. Insofern empfiehlt sich die Formulierung: mit seiner/ihrer Behinderung

taubstumm

Gehörlose Menschen sind nicht stumm, sondern sprechen entweder lautsprachlich oder in der Gebärdensprache. Manche nennen sich auch taub oder gehörlos.

Mongoloismus/mongoloid

Diskriminierende Ausdrucksweise für Menschen, die das Down-Syndrom oder Trisomie 21 haben. Das Down-Syndrom ist ein bei Menschen vorkommendes Syndrom, bei dem aufgrund einer Genommutation das gesamte 21. Chromosom oder Teile davon dreifach vorhanden sind. Im Nationalsozialismus wurden in Deutschland viele Menschen mit Down-Syndrom im Rahmen der Aktion T4, die sich gegen Menschen mit den unterschiedlichsten Behinderungen richtete, ermordet. Die Bezeichnungen Mongoloide gilt heute als diskriminierend und wird nur abwertend, ansonsten aber auch in Fachkreisen nicht mehr verwendet. Ein zentraler Grund hierfür ist die Rücksichtnahme auf die Menschen aus der Mongolei: 1965 richtete die Mongolei an die WHO einen Antrag mit der Bitte, den Begriff Mongolian Idiocy (Mongolismus) und seine Ableitungen aufgrund der negativen sowie rassistischen Besetzung nicht mehr zu verwenden. Die WHO nahm diesen Antrag einstimmig an.

„Krüppel“

Behinderte Menschen als „Krüppel“ zu bezeichnen war bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts normal, gilt aber heute als sehr beleidigend. Einige behinderte Menschen haben sich diesen Begriff jedoch positiv angeeignet: Sie nennen sich selbst „Krüppel“ – nicht abwertend sondern selbstbewusst. Angelehnt ist diese Praxis an andere Minderheiten – homosexuelle Männer beispielsweise definierten die einstige Beleidigung „schwul“ erfolgreich um. Im Gegensatz zu „schwul“ ist „Krüppel“ aber noch kein neutraler Begriff und kann positiv nur innerhalb der Gruppe behinderter Menschen verwendet werden.

„Zwerge“ und „Liliputaner“

Von „Zwergen“ oder „Liliputanern“ sprach man früher. Aber genauso wie sich Zwei-Meter-Menschen ungern Riesen nennen lassen, empfinden viele Menschen mit geringer Körpergröße diese Bezeichnungen als diskriminierend. Zwerge, Riesen und Liliputaner gehören ins Reich der Märchen. „Kleinwüchsig“ ist da neutraler - meinen die Bundesselbsthilfe Verband Kleinwüchsiger Menschen e.V. und der Bundesverband Kleinwüchsige Menschen und ihre Familien e.V.

EMPFEHLUNGEN UND LINKS

„BEST PRACTICE“-BEISPIELE UND EMPFEHLUNGEN AUS DER JOURNALISTISCHEN PRAXIS

Medien schaffen Wirklichkeit – viele Journalistinnen und Journalisten wissen das und bedienen sich dennoch häufig Floskeln und Klischees.
Formulierungen wie „er ist an den Rollstuhl gefesselt“ oder „sie leidet an“ lassen negative Bilder im Kopf entstehen, die das öffentliche Bild behinderter Menschen prägen. Für sie heißt das, dass sie oft nur in zwei Dimensionen wahrgenom-men werden:

  • Als Opfer das sich mit seiner Behinderung dem Schicksal ergibt,
  • oder als „Held”, der sein Leben trotz seiner Behinderung meistert.

In einer Zeit, in der die Vereinten Nationen die Menschenrechte behinderter Menschen bekräftigen und viele Staaten gemeinsam an einer inklusiven Gesellschaft arbeiten, spielen die Medien eine besondere Rolle. Sie können informieren und aufklären, statt weiter Vorurteile und Stereotypen zu prägen. Das ist gerade in Deutschland wichtig, wo behinderte und nicht behinderte Menschen im Gegensatz zu anderen Ländern noch oft in getrennten Welten leben, lernen und arbeiten. (leidmedien.de)

Der „Leitfaden zur Darstellung von Menschen mit Behinderung für Medienschaffende“ des Beauftragten der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen empfiehlt Journalist_innen:

Menschen mit Behinderung sind Expert_innen in eigener Sache, d. h. binden Sie in Ihre Berichterstattung aktiv die Sicht der behinderten Protagonist_innen mit ein (Stichwort »nichts über uns ohne uns«).
Die reale Perspektive eines behinderten Menschen macht ihr fiktionales Format authentischer, d. h. besetzen Sie Figuren mit Behinderung durch Schauspieler_innen mit Behinderung oder lassen Sie sich ggf. zur Darstellung umfassend beraten.
Jeder erlebt seine Beeinträchtigung anders und »leidet« nicht zwangsläufig darunter, z. B. ist Stephen Hawking in erster Linie Astrophysiker, nicht nur der »an den Rollstuhl gefesselte Behinderte«.
Ihr Beitrag kann auch ohne »Helden-« oder »Opfergeschichte« faszinieren, z. B. meistern Menschen mit Behinderungen nicht automatisch »tapfer« ihren Alltag oder sind Menschen mit psychischen Erkrankungen nicht per se »gefährliche Verrückte«.
Menschen mit Behinderung sind keine geschlechtsneutralen Personen, d. h. bedenken Sie in Ihren Beiträgen die unterschiedliche Perspektive von Frauen, Männern und Kindern mit Behinderung.

Ein Perspektivwechsel auf Behinderung lohnt sich, denn z. B. sind nicht alle Autist_innen nur IT-Spezialist_innen, sind Menschen mit Trisomie 21 nicht nur Schauspieler_innen:

  • Der Umstand, dass eine Person mit einer Behinderung lebt, könnte irrelevant für den Beitrag sein, z. B. berichten Sie nicht voreilig über psychische Erkrankungen eines Straftäters.
    Meist ergeben sich »Behinderungen« eher durch die Umwelt, z. B. mangelnde Barrierefreiheit, Vorurteile im Bekanntenkreis, Arbeitslosigkeit usw.
  • Behinderte Menschen haben auch eine Meinung zu anderen Themen als zu ihrer Behinderung, z. B. interviewen Sie bei Umfragen oder Podiumsdiskussionen auch behinderte Menschen zu Politik- und Gesellschaftsthemen; oder lassen Sie Moderator_innen mit Behinderung ein Format moderieren, in dem es nicht um Behinderung und Inklusion geht.
  • Das Thema Inklusion benötigt einen vielseitigen Blick, d. h. nutzen Sie mehrere Perspektiven für ein umfassendes Meinungs- und Stimmungsbild.
  • Inklusion und Barrierefreiheit sind Themen für den Mainstream, z. B. interessiert auch Eltern mit Kinderwagen, ob ein Aufzug funktioniert; oder möchten auch ältere Menschen komplizierte Sachverhalte schnell verstehen.
  • Am ehesten erreichen Sie auch noch nicht sensibilisierte Zuschauer_innen, wenn sie das Thema innerhalb von allen gesellschaftlich relevanten Themen platzieren, z. B. in Kultur-, Politik- und Sport-Sendungen/Ressorts, und im TV und Hörfunk mal zur Primetime bzw. im Print auf der 1. Seite.
  • Metaphern zu Behinderung in einem anderen Kontext sollten vermieden werden, z. B. »autistisch« als Synonym für »stur« oder »schizophren« für »entscheidungsschwach«.
  • Im Kontext zu Berichten über psychische Erkrankungen sind Hinweise zu Anlaufstellen hilfreich.

BIBLIOGRAPHIE UND LINKS

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